Die südkoreanische Schriftstellerin Han Kang, die in koreanischer Literatur promoviert hat und am Kulturinstitut Seoul doziert, teilt diese Erzählung „Weiß“ in drei Kapitel auf: Ich, Sie und Alles weiß. Jedes Unterkapitel hat zusätzlich eine eigene kurze Bezeichnung erhalten, überwiegend besteht der Titel aus Dingen, die weiß sind oder etwas mit der Farbe weiß zu tun haben, wie zum Beispiel Mond und Schneeflocken. Die Unterkapitel wirken deswegen und wegen ihrer Kürze wie lange Gedichte, die inhaltlich aufeinander aufbauen. Schließlich veröffentlicht die Autorin seit 1993 auch Gedichte. Auf diese Weise können einige Unterkapitel auch für sich, aus dem Kontext herausgenommen, gelesen und verstanden werden.
In der Geschichte verarbeitet die Protagonistin zwei Totgeburten ihrer Mutter, die vor ihrer eigenen Geburt geschahen. Dazu verlässt die Erzählerin im zweiten Kapitel die Ich-Perspektive und wechselt in die personale Erzählperspektive. Insbesondere der Tod des ersten Kindes ihrer Mutter beschäftigt die Erzählerin, hätte sie doch dann eine ältere Schwester gehabt und wäre nicht selbst die ältere Schwester für ihren jüngeren Bruder gewesen. Anlass für diesen Anflug von Melancholie und für das Nachdenken über die Gefühlswelt ihrer damals sehr jungen Mutter, die für sich und ihr Erstgeborenes keine Hilfe holen konnte, ist der Aufenthalt in einem verschneiten Ort weit entfernt von der Heimat Südkorea. Immer wieder zieht die Erzählerin Parallelen von diesem Ort zu ihrer eigenen Gefühlswelt.
Die weiße Gedankensammlung der Autorin liest sich sprachlich sehr gut. Der Satzbau ist weder zu kompliziert noch zu einfach, was sicherlich auch an der guten Übersetzung liegt. Die Geschichte kommt fast gänzlich ohne wörtliche Rede aus. Ab und an findet sich eine Frage an den Leser. Fehl- und Totgeburten sind noch immer Themen, über welche die Menschen nicht gerne sprechen. Dabei kommen sie noch heute vor und häufiger als wir denken. Die gewählte Sicht des Geschwisterkindes, das einen weiteren Bruder oder eine weitere Schwester haben könnte, eignet sich dafür, dass sich nicht nur Frauen, sondern sehr gut auch Männer in die besondere Situation hineinversetzen können. Die Autorin bleibt jedoch nicht bei der Darstellung nur von Gefühlen stehen, sondern hat ihre Erzählung mit kleineren weiteren Geschichten rund um die Erzählerin angereichert. Dadurch vermeidet sie, dass das Buch ins Philosophische abdriftet oder kitschig wird.
Das Buch hat 151 Seiten und ist im Aufbau Verlag, Berlin, erschienen.